Forschung zum automatisierten Fahren an der TU Dortmund - Wie kann die individuelle Mobilität in der Zukunft aussehen?
In den kommenden Wochen werden Niklas Stannartz und Manuel Schmidt, beide vom Lehrstuhl für Regelungssystemtechnik unter Leitung von Professor Torsten Bertram, mit einem umgebauten Nissan Leaf und einem Smart den Großraum um die Universität erkunden. In den Fahrzeugen sammeln sie Daten für das automatisierte Fahren, genauer die Daten dienen unter anderem dem maschinellen Lernen von Fahrfunktionen bzw. von komplexen Verkehrssituationen.
Ziel der beiden ist, dass bei Wind und Wetter die Umgebung – Fahrzeuge, Busse, Fahrräder, Fußgänger, Tiere, Schilder oder andere Gegenstände – vom Rechner eines automatisiert fahrenden Fahrzeuges eindeutig erkannt und klassifiziert werden, nur so ergibt sich ein vollständiges Umgebungsmodell. Dafür hatten die beiden zuvor den Nissan Leaf, ein Elektrofahrzeug, mit umfangreicher Mess- und Rechentechnik aufgerüstet. Auf dem Dach haben sie sechs Kameras angebracht, die jederzeit einen 360-Grad-Blick rund um das Fahrzeug ermöglichen. Der Mensch ist hierzu nicht in der Lage. Ergänzt werden die Kameras durch einen Laserscanner, der zentral zwischen ihnen angebracht ist. Der Scanner gibt den zweidimensionalen Bildern der Kameras eine dritte Dimension, die für die richtige Einschätzung einer Verkehrssituation wichtige Information über Entfernungen. „Mit dem Laserscanner erzeugt die Technik auf dem Dach des Nissans ein originalgetreues Abbild des Raums in der virtuellen Welt, den der Testwagen durchfährt,“ so Niklas Stannartz. Zusätzlich wird über eine Antenne auf dem Dach, die das GPS-Signal ergänzt, der Standort des Wagens zentimetergenau lokalisiert, hier kommt auch der Smart zum Einsatz, er dient als Referenzfahrzeug mit eigener Messtechnik. Alle Messdaten werden jeweils in die Recheneinheiten eingespeist, die im Kofferraum der Wagen untergebracht sind. Selbstverständlich wird die Einhaltung des geltenden allgemeinen Persönlichkeitsrechts sichergestellt. Dies wird dadurch erreicht, dass sämtliche aufgezeichneten Messdaten vollständig anonymisiert werden.
Aktuell füllt die Technik den gesamten Kofferraum des Kleinwagens Nissan Leaf. „Zentraler Knotenpunkt“, so Manuel Schmidt, ist ein Desktop-PC, in dem aktuell die besten marktüblichen IT-Elemente verbaut sind. Mit diesem Rechner verbunden sind acht Grafikkarten. Diese Hochleistungs-Karten haben längst die Welt der Spielekonsolen und -PCs verlassen und sind auch in die Wissenschaft eingezogen. Jede Karte verfügt dabei über einen Acht-Kern-Prozessor sowie 512 Grafikkerne der neusten Generation. Diese immense Rechenleistung ermöglicht die Verarbeitung der großen Datenmenge von den Kameras sowie dem Laserscanner.
Dabei werden die Daten mittels Künstlicher Neuronaler Netze verarbeitet um dadurch andere Verkehrsteilnehmer und deren Verhalten bzw. Objekte wie Fahrzeuge, Menschen, Tiere, Schilder oder andere Gegenstände in der Umgebung zu erkennen. Damit sich das automatisiert fahrende Ego-Fahrzeug möglichst vorausschauend bewegt ist eine komplexe Bewegungsplanung notwendig, in die neben den aktuell erkannten Verkehrsteilnehmern auch deren vermutliche zukünftige Bewegung einbezogen wird. Dies erlaubt ein sicheres und komfortables Fahrverhalten. „Automatisiert fahrende Fahrzeuge können Spurwechsel vorausfahrender Fahrzeuge heute mit Hilfe von Algorithmen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz – z.B. künstliche neuronale Netze – präzise voraussagen, indem sie die Verkehrssituation entsprechend auswerten,“ berichtet Martin Krüger. Neben Signalen welche angeben, ob das betrachtete Fahrzeug ein Spurwechsel durchführen könnte, um ein langsameres Fahrzeug zu überholen, werden auch Informationen über den Bewegungszustand des beobachteten Fahrzeugs genutzt, z.B. die Geschwindigkeit. Während des Trainings lernt das tiefe neuronale Netz dann welche Muster in den Daten bei Spurwechseln bzw. Spurhalten auftreten. Dazu müssen menschliche Experten die Spurwechsel zuvor in den aufgenommenen markieren und somit als richtig erklären. Spurwechsel vorausfahrender Fahrzeuge können so bis zu 2,5s vor dem eigentlichen Überqueren der Fahrspurmarkierung erkannt werden.
„Beim automatisierten Fahren ist es immer noch eine Herausforderung, dass die Objekte, die das Fahrzeug bei seiner Fahrt erkennt, eindeutig klassifiziert werden“, erklärt Niklas Stannartz. „Ein Mensch muss beispielweise bei jeder Tag- und Nachtzeit, bei unterschiedlichsten Wetterbedingungen als Mensch erkannt werden – ob klein oder groß, mit welcher Kleidung auch immer.“ Selbst wenn dem Rechner dieses Wissen noch recht einfach antrainiert werden kann, so bleiben bei den weltweiten Forschungen noch genügend Felder, bei denen diese Identifikation nicht einfach und vor allem eindeutig ist. Selbst die genaue Lokalisierung eines Fahrzeugs auf der Straße kann problematisch sein, wenn beispielsweise Straßenmarkierungen fehlen, Schnee liegt, oder andere Wetterbedingungen die „Sicht“ des Autos auf die Straße erschweren. Aber nicht nur die Erkennung anderer Verkehrsteilnehmer und die Generierung eines Abbilds der Umwelt, um eine Entscheidungsbasis für eine Manöverplanung zu bilden, beschäftigt die Dortmunder Wissenschaftler um Professor Bertram, auch an der konkreten Umsetzung einer Fahrstrategie wird zunächst im Fahrsimulator und anschließend im Prototypenfahrzeug geforscht.
Für automatisierte Fahrfunktionen ist es unersetzlich, dass sowohl das Lenkrad als auch das Fahr- und Bremspedal selbsttätig durch das Fahrzeug angesteuert werden. Diese Aufgabe übernimmt in einem automatisierten Fahrzeug eine Folgeregelung, welche das Fahrzeug möglichst genau entlang einem geplanten Pfad führen soll. „Der Mensch, als Fahrzeugführer, kann basierend auf Erfahrungen, direkt einschätzen, in welche Richtung sich das Fahrzeug bei einem bestimmten Lenkradwinkel bewegen wird,“ ergänzt Andreas Homann. „Dieses Systemverständnis muss für eine Regelung zunächst durch Testfahrten identifiziert und anschließend in den Algorithmus integriert werden.“ Eine weitere Herausforderung für das Fahrzeug stellt die Adaption auf Unterschiede zwischen Fahrzeugen und Störungen, wie zum Beispiel ein verstelltes Lenksystem, Straßenneigungen oder Seitenwind auf Autobahnbrücken, dar. Dieses kann durch Sensoren nicht direkt gemessen und lediglich durch ein geändertes Fahrverhalten von den Algorithmen auf den Rechnern im Fahrzeug bestimmt werden.
„Automatisiertes Fahren betrifft nicht nur die Ingenieurwissenschaften. Wegen der Fahrer-Fahrzeug-Interaktion ergibt sich ein weiterer Aspekt des automatisierten Fahrens, der interdisziplinäre Forschung in den Bereichen Psychologie und Ergonomie umfasst.“ erklärt Khazar Dargahi Nobari. Dabei ist die Aufgabe, Akzeptanz und das Vertrauen der Fahrer zu gewinnen, ein wichtiger erster Schritt, um diese Technologie in das tägliche Leben zu bringen. Dazu ist es erforderlich, die mentale Interaktion zwischen dem automatisierten System und dem menschlichen Fahrer gründlich zu verstehen. Eine effektive Interaktion ist gleichzeitig auch ein Schlüsselelement zur Erhöhung der Verkehrssicherheit. „Dementsprechend ist die sowohl die Wahrnehmung des Systems durch den Fahrer als auch die Erfassung des Fahrers durch das System entscheidend für dessen Güte, wenn die Steuerung des Fahrzeugs zwischen dem System und dem Fahrer aufgeteilt wird.“ ergänzt Franz Albers. Eine optimale Untersuchungsmöglichkeit bietet hier die Fahrten mit Probanden im eigenen Fahrsimulator im Labor der TU Dortmund.