Dem Kometenstaub auf der Spur

Derzeit bewegt sich der helle Komet C/2025 A6 (Lemmon) über den Nordhimmel und ist sowohl kurz nach Sonnenuntergang als auch kurz vor Sonnenaufgang bereits mit einem Fernglas oder einem kleinen Teleskop leicht zu beobachten. Seit den wegweisenden Forschungsarbeiten von Fred Whipple in den 1950er Jahren werden Kometen als „schmutzige Schneebälle“ bezeichnet. Demnach handelt es sich um relativ lose zusammenhängende, unregelmäßig geformte und bis zu etwa 20 Kilometer große Körper, die aus Wassereis und anderen gefrorenen Gasen, Silikatstaub und -gestein sowie organischen Verbindungen mit hohem Kohlenstoffanteil bestehen. Sie entstanden vor 4,6 Milliarden Jahren aus dem Material derselben interstellaren Gas- und Staubwolke, in der sich zeitgleich die Sonne und die Planeten unseres Sonnensystems bildeten.
Fast alle Kometen kreisen weit außerhalb der Bahnen der großen Planeten um die Sonne, wo sie sich seit ihrer Entstehung nicht merklich verändert haben. Daher ist das Material, aus dem sie bestehen, dem Ursprungsmaterial des Sonnensystems sehr ähnlich und ermöglicht tiefe Einblicke in dessen Entstehungszeit. Nur ab und zu wird ein einzelnes Objekt durch die Gravitationswirkung der großen Planeten ins Innere unseres Sonnensystems abgelenkt und bewegt sich dann auf einer Bahn, die es in regelmäßigen Abständen in die Nähe der Sonne und der Erde führt. Für den Kometen Lemmon geschieht dies etwa alle 1200 Jahre. Dieser Komet wird nur noch für eine kurze Zeit bis Ende Oktober beobachtbar sein und zu unseren Lebzeiten danach nicht mehr in die Nähe der Erde zurückkehren.
Wenn sich ein Komet der Sonne nähert, erwärmen sich dessen gefrorene Bestandteile, gehen in den gasförmigen Zustand über (in der Physik nennt man das „sublimieren“) und umgeben den festen Kern weiträumig. Die Gase reißen dabei Staub und kleine Gesteins- und Kohlenstoffpartikel mit sich in die Umgebung des Kerns. Diese aus fein verteiltem Gas und Staub bestehende, annähernd kugelförmige Hülle wird Coma genannt und kann einen Durchmesser von mehr als einhunderttausend Kilometern erreichen. Ein Teil der Gase und des Staubs wird durch die Kraft des intensiven Sonnenlichts in die der Sonne abgewandte Richtung gerissen und bildet so den sogenannten Schweif des Kometen. Dieser teilt sich oftmals, so auch beim Kometen Lemmon, in einen geraden schmalen Gasschweif und einen breiten und manchmal gekrümmten Staubschweif auf.
In Abb. 1 erkennt man deutlich die helle und grün erscheinende Coma, einen geraden Gasschweif und ganz schwach einen breiter aufgefächerten Staubschweif. Die Hintergrundsterne sind aufgrund der Bewegung des Kometen während der langen Belichtungszeit zu Strichspuren auseinandergezogen. Die auffällige grüne Farbe der Coma wird durch molekularen Kohlenstoff (C2) erzeugt, der durch die Sonnenstrahlung zum Leuchten angeregt wird. Der dünn verteilte Staub des Kometen bewirkt ein sehr interessantes Verhalten des gestreuten Lichts, nämlich dessen Polarisation. Das bedeutet, dass die Lichtwellen nach der Streuung vorzugsweise in einer einheitlichen Richtung schwingen, die von den relativen Positionen von Sonne, Erde und Komet abhängt. Wir Menschen können die Polarisation von Licht nicht wahrnehmen, einige Vögel und Insekten sind jedoch hierzu in der Lage und nutzen diesen Effekt zur Orientierung. Mit technischen Mitteln wie z. B. Spezialkameras lässt sich die Polarisation ohne weiteres bestimmen. Für die äußere Coma und den Schweifbereich von Kometen wurden derartige Analysen aufgrund der geringen Helligkeit bislang nur selten vorgenommen.
Diese Forschungstätigkeiten stehen auch imZusammenhang mit aktuellen Arbeiten unserer Gruppe im Rahmen der von der europäischen Raumfahrtorganisation ESA geleiteten Raumsondenmission BepiColombo zum Planeten Merkur, da dessen Oberfläche (wie diejenige des Mondes) ebenfalls aus kleinen Gesteinspartikeln besteht, deren physikalische und chemische Eigenschaften anhand ihrer Lichtstreuung ermittelt werden können.
Aus diesem Grund führen wir am Arbeitsgebiet Bildsignalverarbeitung regelmäßig Messungen der Polarisation hellerer Kometen durch.
Dies geschieht mit einer speziellen, eigentlich für Zwecke der industriellen Qualitätsprüfung gedachten digitalen Kamera und einem portablen Teleskop, einem Newton-Reflektor mit 150 Millimetern Öffnung. Eine solche Beobachtungskampagne findet derzeit auch für den Kometen Lemmon statt.
Anfang Oktober zunächst aus Wetter (Ruhr) und vom 13. - 17. Oktober (aufgrund des in ganz Deutschland durchgängig bedeckten Himmels) vom Gipfel des gut 1200 Meter hohen Ballon d’Alsace in den Vogesen im Osten Frankreichs (Aufmacherfoto). Um das von den Gasen des Kometen emittierte blaue und grüne Licht zu blockieren und ausschließlich die Staubkomponente zu erfassen, wurden unsere Bilddaten durch ein spezielles Orangefilter aufgenommen.
Die obere Zeile in Abb. 2 zeigt die so erhaltenen Intensitätsdaten des Kometen in logarithmischer Skalierung, wobei jeder Intensität eine bestimmte Farbe zugeordnet wird. Dies wird auch als Falschfarbendarstellung bezeichnet, die in der Bildverarbeitung häufig verwendet wird, um schwache Details in Grauwertbildern hervorzuheben. Die Polarisationsdaten befinden sich derzeit noch in der Prozessierungsphase. In der unteren Zeile von Abb. 3 sind mit einem Hochpassfilter verarbeitete und vergrößerte Versionen der Originalbilder dargestellt, in denen feine Details noch stärker betont werden. In ihnen ist insbesondere in den Daten vom 16. Oktober ein Paar strahlartiger Staubstrukturen sichtbar, die in entgegengesetzter Richtung aus dem Zentralteil der Coma austreten.
Ähnliche Bildverarbeitungsmethoden kommen auch in technischen Anwendungen zum Einsatz, wie beispielsweise in der industriellen Mess- und Qualitätsprüftechnik, in Fahrerassistenzsystemen oder in der Satellitenbildanalyse zur Untersuchung von Aerosolen (Wassertröpfchen und Staubpartikel in der Luft) und ihren Auswirkungen auf das Klima.
In Abb. 3 wird das am 17. Oktober vom Ballon d’Alsace unter hervorragenden Wetterbedingungen aufgenommene Bild mit einer 87 Stunden später am 20. Oktober aus Wetter (Ruhr) durch eine
Wolkenlücke hindurch gewonnenen Aufnahme verglichen. Während dieses Zeitraums hat offenbar eine Vergrößerung des Durchmessers der Coma um mindestens 80% stattgefunden. Auch der Staubschweif ist deutlich heller und breiter geworden. Solche Veränderungen der Struktur eines Kometen innerhalb kurzer Zeit sind nicht ungewöhnlich. Eine wahrscheinliche Erklärung ist, dass sich aufgrund der stetig abnehmenden Entfernung des Kometen zur Sonne Eisablagerungen unter der Oberfläche des Kerns erwärmen, was zu ihrer schnellen Sublimation und einer anschließenden massiven Freisetzung von Staubpartikeln in die Coma und den Schweif geführt hat.
Nach Beendigung der Datenprozessierung soll das bei unterschiedlichen Beobachtungs- und Beleuchtungsgeometrien gemessene Polarisationsverhalten mit den Ergebnissen von
Computersimulationen verglichen werden, die den physikalischen Prozess der Streuung des Sonnenlichts an den Staubpartikeln des Kometen rechnerisch nachbilden. Diese Vorgehensweise wird detaillierte Informationen über die Größe, Struktur und chemische Zusammensetzung der Staubpartikel liefern. Auf diese Weise lassen sich tiefe Einblicke in die Urmaterie gewinnen, aus der vor Milliarden von Jahren die planetaren Körper unseres Sonnensystems entstanden sind.






